ARTIST IN RESIDENCE 2016: NORA MERTES 

vom Goethe Institut Denmark: https://www.goethe.de/ins/dk/de/ueb/isl/20730644.html

In ihrer künstlerischen Arbeit untersucht Nora Mertes die Körperlichkeit von Dingen und ihre Verortung im Raum. Es interessiert sie, wie Dinge sich miteinander verbinden, aufeinander wirken und in welchem Verhältnis sie zu dem umgebenden Ort und dem menschlichen Körper stehen. Das Verhältnis beobachtet und definiert sie, indem sie Dinge auseinandernimmt, zusammenfügt, Form und Zustand oder auch die Position im Raum verändert.

Es sind oft skulpturale Überlegungen – beispielsweise Klemmen, Lehnen, Stützen, und Liegen –, mit denen sie nicht nur mittels Objekten, sondern auch mittels des eigenen Körpers im Raum umgeht und versucht diese an ihre Grenzen zu bringen. Dabei nutzt die Künstlerin Ausstellungsräume als Möglichkeit, ein experimentelles Feld zwischen Raum und Objekten und vielleicht auch zum Betrachter hin aufzuspannen.

So in dem Werk Ohne Titel (Feld) (IKOB Museum für Zeitgenössische Kunst, Eupen/Belgien, 2015), bei der sie mit flüchtigen und fragilen Formen, Materialien und Motiven wie Wolken, weißem Pigment und Glas gearbeitet hat. Sie fixierte die Elemente und ordnete sie zueinander und zum Raum hin an, so das Glas, Wolken und Pigment durchschreitbare Linien und Flächen im Ausstellungsraum bilden.In Seyðisfjörður arbeitet Nora Mertes mit Gips, Metall- und Plastikflächen, Fotografie und schwarzer Ölfarbe sowie der umgebenden Landschaft, in der visuelle Bezüge und Maßstäbe sich durch das übermäßige Weiß des Schnees teilweise aufheben. In ihren Skulpturen schwingen die charakteristischen Eigenschaften der umgebenden Landschaft sowohl physisch als auch visuell nach – das Schmelzen, Neigen und Quetschen.

Die neuen Arbeiten von Nora Mertes werden ab dem 21.01.2016 in Skaftfell – Center for Visual Art in Seyðisfjörður, Island, zu sehen sein. Nora Mertes, geboren 1982, studierte Bildende Kunst in Berlin, Bonn und Hiroshima. Sie arbeitet in Berlin und im Rahmen von Ausstellungen oder Stipendienaufenthalten an weiteren Orten. So hat sie bereits in Ägypten, Belgien, Finnland, Frankreich, Japan und Norwegen gearbeitet und ausgestellt, bevor sie als aktuelle Residentin das Stipendium in Skaftfell – Center for Visual Art in Island antrat. Nora Mertes ist als Lehrbeauftragte im Bereich bildende Kunst sowie architekturbezogenen Kunst tätig. Zurzeit gibt sie Lehrveranstaltungen an der Universität der Künste Berlin sowie der Alanus Hochschule Alfter bei Bonn.

Nora Mertes von Vanja Sisek, Kunsthistoriker, 2016:

Nora Mertes (1982) hat bildende Kunst an der Alanus Hochschule bei Bonn und an der HCU in Hiroshima, sowie „Art in Context“ an der UdK Berlin studiert. Neben Beteiligung an vielfältigen Ausstellungsprojekten als Künstlerin sowie als Mitkuratorin, hat sie an mehreren Hochschulen gelehrt, darunter der UdK Berlin, der Bauhaus Universität Weimar sowie am Institut für Architekturbezogene Kunst an der TU Braunschweig. In ihren Installationen und ortspezifischen Interventionen setzt Nora Mertes subtile Mittel ein, um Komplexitäten von Wahrnehmung und Raumerfahrung in Szene zu setzen.

Szene 1: Zwischen Boden und Decke ist ein Ast eingeklemmt. Ein um ihn herumgewickeltes Gummiband hält ein anderes, einige Meter entferntes Objekt: einen Fels, der doch keiner ist. Denn das, was auf ersten Blick als eine im Raum stehende felsige Gestalt zu erscheinen vermag, ist eigentlich eine fotografische Abbildung derselben. Diese Erkenntnis annulliert allerdings nicht zwangsläufig die suggestive Kraft des ersten Anblicks. Die Simulation der Objekthaftigkeit und die Objekthaftigkeit der Simulation treten bei der Raumbegehung in ein dialektisches Verhältnis.

Szene 2: Im neoklassizistischen Atrium eines agrar- und gartenbauwissenschaftlichen Instituts bewegt man sich durch eine konstruierte Landschaft. Sie besteht aus unterschiedlich großen, unregelmäßig gestalteten, organisch anmutenden, u.a. an Steine erinnernden Formen. Aus Fotodrucken des Atriumbodens gefertigt, scheinen sie aus diesem herauszuwachsen, dem Raum quasi zuzugehören. Zugleich widersetzen sie sich seiner ordnungsliebenden, repräsentativen Architektur und importieren neue Erfahrungs- und narrative Ebenen. Es ist ein Oszillieren am Werk zwischen Verwandt- und Fremdsein, das den Raum und die Raumerfahrung verfremdet.

Diese zwei Beispiele von Nora Mertes‘ situativen Konstellationen verdeutlichen, dass Gegenstand ihrer Gestaltung nicht nur Objekt-Raum-Konfigurationen sind. Sie gestaltet auch die Erfahrung und den Wahrnehmungsprozess. Dabei handelt es sich um eine Erfahrungsgestaltung, die sich nicht primär um die Generierung von subjektbezogenen Wirkungen bemüht, wie es in zeitgenössischer Installationskunst oft der Fall ist. Gestaltet wird vielmehr ein Relationsgeflecht zwischen Körper, Auge, Raum, Objekt und Bild, das im Schwanken bleibt, auch wenn man die Relationen rational relativ leicht nachvollziehen kann. Der Wahrnehmungsprozess ist ein geschichteter: Er lebt von der Dynamik zwischen einem ersten und jedem weiteren Blick (und Schritt) und löst sich von einer binaren Entweder-Oder-Logik. „What you see is what you see“ wird zu „What do I see?” Sieht man beispielsweise einen Gegenstand oder ein Abbild oder beides zugleich bzw. sukzessiv?

In diesem Sinne erweitert Nora Mertes die erfahrungsästhetischen Parameter der Minimal Art der 1960er Jahre. Diese kreisten um die Situationsabhängigkeit der Wahrnehmung von scheinbar einfachen Objekten im Raum. Bei Mertes gewinnt die Wahrnehmung zusätzlich an Komplexität, da ihre Objekte zum Teil eben nicht nur Objekte sind. In eine Objekt- dringt hier eine Bildwelt ein, die ihrerseits visuell-virtuelle wie auch objekthafte Züge aufweist. Installation, Repräsentation und Simulation sind kaum voneinander zu trennen. Diese Neuordnung der Wahrnehmungs- und Raumerfahrungskoordinaten korreliert dabei mit einem Zeitalter, in dem sich das Verflochten-Sein von Physischem und Virtuell-Vermitteltem mit einer immer wachsenden Intensität steigert.

Nora Mertes (BE) (Skaftfell AiR)

Gentle Hanging (2016, two room installations)

text by Brigita Rainert, art historian

Nora Mertes is an artist who works with material- and site-specific art. She uses various mediums, including installation, photography and video. Her installations are often minimalistic, creating a sort of tension between the performative objects, space and the viewer. Through squeezing, stretching, tilting, thrusting and others actions, Mertes tries to physically reflect the objects and space surrounding her, as this constitutes the basis of her sculptural and spatial works.

In Rakvere, Mertes has exhibited series of objects that vibrate between form and plane surfaces, and which deal with urban environment and its virtual multiplication. The piece explores the reshaping of place and balance, and the fact how materials can react and change relative to each other. It is an assemblage of delicately stable objects that hinge on each other’s presence and inevitably engage in a dialogue with the nature of one another’s material. Thereby the artist wishes to emphasize the point of manipulating material, that emerges from a close relationship with the space. She studies situations taking place on the edge through hanging as a physical phenomenon. Hanging is something that lies in the midst of “lax softness” and strained state. By experimenting with different ways to hang objects, Mertes wants to create a delicate and a new kind of tension in the room that is distinctively perceptible for the visitor.

(Estonian)

Nora Mertes (BE) (Skaftfell AiR)

„Õrn rippumine” (2016, kaks ruumiinstallatsiooni)

text by Brigita Rainert, art historian (Estonian)

Nora Mertes on materjali- ja kohaspetsiifikaga tegelev kunstnik, kes kasutab oma loomingus mitmeid erinevaid meediume, sealhulgas nii installatsiooni, fotot kui ka videot. Tema installatsioonid on sageli minimalistlikud, luues performatiivsete objektide, ruumi ja vaataja vahele teatud sorti pinge. Läbi pigistamise, pingutamise, kallutamise, tõukamise ja teiste tegevuste, proovib Mertes end ümbritsevaid objekte ja ruumi füüsiliselt reflekteerida, ning just see aspekt moodustabki tema skulpturaalsete ja ruumiliste tööde baasi.

Rakveres on eksponeeritud Mertese seeriad objektidest, mis võnguvad vormi ja tasapinnalisuse vahel, ning tegelevad linnakeskkonna ja selle virtuaalse paljunemisega. Teos käsitleb koha ja tasakaalu ümberkujundamist ning seda, kuidas materjalid võivad üksteise suhtes reageerida ja muutuda. See koosneb delikaatselt stabiilsetest erinevate objektide assamblaažidest, mis on üksteise kohalolust sõltuvad ning mis paratamatult üksteise materjalide iseloomuga dialoogi astuvad. Seeläbi soovib kunstnik rõhutada materjaliga manipuleerimise momenti, mis tekib tihedast suhtest ruumiga. Mertes uurib piiri peal aset leidvaid situatsioone rippumise kui füüsilise fenomeni kaudu. Rippumine on miskit, mis asub teatud sorti “lodeva pehmuse” ja pinges oleku vahel. Katsetades erinevaid objektide rippumisviise, soovib ta luua oma objektidega ruumi külastajale selgelt tajutavat delikaatset ja uutmoodi pinget.